Freitag, 8. September 2017

Mit der U-Bahn ab nach Simmerring: Nächster Halt: "Zentral"-Friedhof



Mit Skepsis gingen wir eine weitere von Herrn Heuzeroths alternativen Lernmethoden an. Die Aufgabe heute: einen unbekannten Ort anhand eines Fotos kundig machen.  Wir gingen diese Herausforderung auf die direktesten Weise an: Einfach (wenn möglich wienerische) Passanten anquatschen. Da uns die Wiener größtenteils ignorierten, mussten wir uns an Ausländer wenden. Schlussendlich konnte uns nur eine Niederländerin weiterhelfen, die uns direkt zum Zentralfriedhof, dem ältesten Friedhof der Stadt, dirigierte. Mit neuer Motivation machten wir uns auf den Weg. Diese verflog jedoch schnell, als wir merkten, dass der Friedhof eher "WieweitkannichvonderInnenstadtentferntsein-Friedhof" heißen sollte. Nach diversen Umstiegen und der Benutzung von U- und S-Bahn finden wir uns als unwissende Touristen nicht am Haupttor (Tor 2, warum heißt es Tor zwei und nicht Tor EINS????) sondern an einem Nebentor (Tor 1) wieder. Unsere ersten Gedanken: "Wo zum Teufel sind wir hier gelandet?". Wir befanden uns auf einem wie leergefegtem Friedhof. Erst als auf dem Friedhofsgelände ein Bus an uns vorbei zog und wir wenige Zeit später auf die zugehörige Haltestelle stießen, wurde uns klar, dass es sich bei dem Zentralfriedhof um eine Touristenattraktion handelt. Da wir diesen jedoch gerade verpasst hatten, mussten wir uns notgedrungen zu Fuß auf Entdeckungstour über das sehr sehr sehr weitläufige Friedhofsgelände begeben. Hierbei fiel auf, dass die verschiedenen Teile des Friedhofs ganz unterschiedliche Charaktere haben. So erscheint der alte jüdische Bereich des Friedhofs fast schon mystisch. Insgesamt ist es beeindruckend, wie vielfältig die Hintergründe der Begrabenen sind. Schon vor 100 Jahren gab es Teile für Personen aus ganz unterschiedlichen Religionen (so zum Beispiel Juden, Christen, Muslime, Buddhisten oder auch Mormonen). Die Multikulturalität, die die Hauptstadt Österreichs heute auszeichnet, herrschte also auch schon vor Jahrhunderten. 



Statt trauernde Menschen an den Gräbern zu stören, haben wir uns dazu entschieden, ein eigenes Projekt zu starten. Unser Plan: eines der sehr vielen vernachlässigten und heruntergekommenen Gräber schmücken und somit einer verstorbenen Person gedenken. 
Hierbei stellten wir fest, dass nicht jeder Wiener dazu in der Lage ist, Kunststoff von organischen Abfällen zu unterscheiden: Auf der Suche nach Blumen entdeckten wir erstaunlich viele Plastikblumen und -tüten in den Kompostieranlagen.
Nach drei weiteren zurückgelegten Kilometern mit dem Resultat von vier Blasen an Caitlins Füßen liefen uns die ersten Scharen von Senioren über den Weg. Wir hatten den Promi-Bereich des Friedhofs erreicht. Die Gräber von Beethoven, Brahms und Co. nahe der Friedhofskirche zogen sie an wie das Licht die Mücken. Die vielen  dort begrabenen Musiker und Künstler lassen Wiens Status als Kulturhauptstadt - in den letzten Jahrhunderten - erahnen. Selbst heute noch wollen Künstler wie Falco unter ihren berühmten Artgenossen bestattet werden. Für diesen Zweck wurde ein eigener Friedhofsteil für Prominente der Moderne errichtet.





Insgesamt kann man am Friedhof große Stücke der europäischen und österreichischen Geschichte nachvollziehen. So gibt es viele Gräber aus den Weltkriegen (z.B. K.u.K- und NS-Opfer) und diverse Persönlichkeiten aus der Politik wie zum Beispiel eine Gruft für alle österreichischen Präsidenten und eine Reihe von Ehrengräbern (Gräber ohne Leiche).
Jedoch war für uns als Erdkunde-LKler natürlich das eigentliche Highlight das Grab von Alois Negrelli, welcher stark am Bau des Sueskanals beteiligt war. Nach dieser bewegenden Erfahrung fühlten wir uns bereit Abschied zu nehmen und traten die lange Rückreise an.



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